[ Pobierz całość w formacie PDF ]

setzt zu Beginn des Jahrzehnts eine gewaltige Revolution
ein, deren Auswirkungen für die Zukunft wir gerade erst
ahnen: Der Personal Computer tritt auf den Plan.
Kann man ein so entscheidendes Jahrzehnt mit einem
bedauernden Lächeln abtun, vielleicht genau jenes, in dem
wir vom zwanzigsten zum einundzwanzigsten Jahrhundert
übergegangen sind (ob dieses nun schön oder häßlich zu
werden verspricht)? Kann man es nur im Licht seiner
88
oberflächlichen Erscheinungsformen und seiner kurzfristi-
gen Moden sehen, als hätten die fünfziger Jahre nicht auch
ihr Dolce vita gehabt und die sechziger ihre entfesselten
Tänze in psychedelischen Farben? Als würde man von den
schrecklichen siebziger Jahren eines Tages nur noch in Er-
innerung haben, daß damals die ersten Säle mit roten Lich-
tern eröffnet wurden?
1997
89
III
ERHABENER SPIEGEL
DER WAHREN SPRÜCHE
Verhaltens- und Redeweisen,
Manien und Moden
Derrick
oder die Leidenschaft für das Mittelmaß
Die Derrick-Serie erfreut sich auch in Italien großer Be-
liebtheit. Im Licht des gesunden kritischen Menschenver-
standes gäbe es keinen Grund, warum sie den Leuten ge-
fallen sollte. Der Protagonist hat einen wäßrigen Blick und
das traurige Lächeln eines geborenen Witwers, er trägt
Anzüge von der Stange mit grauenvollen Krawatten, und
seine Mitstreiter gehen in Lederjacken und Jeans, die nicht
einmal richtig verwaschen sind. Die Innendekors stürzen
noch den muntersten Possenreißer in unheilbare Betrübnis,
und die Außenaufnahmen zeigen das Schlimmste, was
Bayern zu bieten hat (dabei gäbe es dort wahrhaftig Besse-
res zu sehen).
Man könnte nun meinen, zumindest das detektivische
Grundmuster der Geschichten sei originell und Derrick er-
obere sein Publikum durch Proben von außergewöhnlicher
Intelligenz. Doch das Grundmuster hat, im Verhältnis zu
den Detektivgeschichten von einst, nur eine sehr abge-
standene Neuheit, die schon weidlich von der Columbo-
Serie ausgeschlachtet worden ist: Das Publikum weiß so-
fort, wer der Täter ist und wie er die Tat begangen hat. Der
Reiz besteht darin, zu sehen, wie der Polizist, der es nicht
weiß, den Täter errät und ihn anhand sehr spärlicher Indi-
zien dazu bringt, sich zu verraten.
Aber Columbo (der übrigens nicht schlechter als Derrick
gekleidet ist, denn er pflegt einen Schlabberlook avant la
lettre) bewegt sich mit seinen proletarischen Manieren in
einer Welt schöner, reicher und mächtiger Kalifornier, die
ihn wie einen Fußabtreter behandeln (wozu er sie ermun-
91
tert), in der Gewißheit, daß es diesem schäbigen Nach-
kommen zwielichtiger Immigranten nicht gelingen wird,
ihre Deckung zu durchbrechen und die Barriere ihrer glän-
zenden Arroganz einzureißen. Columbo, der es versteht,
scharfsinnige Bemerkungen über das zu machen, was für
die anderen marginal ist, treibt sie mit psychologischen
Tricks von perfider Raffiniertheit in die Enge und bringt
sie schließlich zu Fall, indem er gerade ihren Dünkel aus-
nützt. Die Zuschauer genießen diesen Sieg des Pygmäen
über die Elefanten und gehen zu Bett mit dem schönen
Gefühl, daß einer, der genauso bescheiden und ehrlich wie
sie ist, sie gerächt hat, indem er widerlich reiche, schöne
und mächtige Leute bestraft.
Nicht so Derrick. Er hat es fast immer mit Leuten zu tun,
die niedriger stehen und schlechter gekleidet sind als er,
dazu noch psychisch labil und eingeschüchtert durch einen
Vertreter des Gesetzes, wie es bei jedem guten Deutschen
vorkommt. Seine Schuldigen sehen so unverschämt schul-
dig aus, daß sie gewöhnlich sogar von Harry erkannt wer-
den (der offensichtlich ohne vorgängigen Intelligenztest in
die bayerische Polizei aufgenommen worden ist), sie bre-
chen fast sofort zusammen, es scheint, als ob sie geradezu
danach lechzten. Wie kommt es dann, daß Derrick so gut
gefällt?
In einem kürzlich erschienenen Sammelband mit dem
Titel »Die Leidenschaften im TV-Serial«* sind die in den
Serien Beautiful, Twin Peaks und eben Derrick verwende-
ten »Leidenschafts-Strategien« untersucht worden. Ich
kann die Analyse des Derrick-Teils hier nicht im einzelnen
wiedergeben, sie füllt etwa dreißig Seiten, aber sicher ist,
daß sie Antworten auf die oben gestellten Fragen gibt.
Für die einzelnen Folgen werden nie außergewöhnliche
Fälle gewählt, sondern Vorkommnisse von der Art, wie sie
*
Le passioni nel serial TV, hrsg. v. Omar Calabrese, Nuova Eri, 1995.
92
auch im Lokalteil der Zeitungen stehen und jedem von uns
passieren könnten. Deswegen ist es von grundlegender Be- [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]

  • zanotowane.pl
  • doc.pisz.pl
  • pdf.pisz.pl
  • razem.keep.pl